Der formative Ansatz eröffnet in vielen Bereichen ein tiefgreifendes Verständnis für die Entwicklungsgeschichte, Persönlichkeitsprofile und „Probleme“ von Musikern.
Persönlichkeit, Haltungs- und Bewegungsmuster, auch Bühnenerfahrungen werden nicht gewertet, sondern geben Aufschluss über einen persönlichen Organisationsprozess, den sich der Übende bewusst machen kann.
Die Muster, in denen Musiker sich beispielsweise auf der Bühne erfahren, haben mit einer grundsätzlichen Art und Weise zu tun, in der Welt zu sein bzw. in Kontakt zu gehen.
Angst, Selbstzweifel, Zittern, negative Gedanken, Black Outs usw. sind nicht zu trennen von der Art und Weise, in der jemand in diesem Moment körperlich organisiert ist. Hierbei aber handelt es sich um unwillkürliche Muster, die prinzipiell nicht bühnenspezifisch sind, sondern eigentlich aus anderen Lebensbereichen vertraut.
Auf der Bühne wirken sich diese Muster besonders verheerend aus, weil sie den Musiker in seiner Ausdrucksfreiheit hemmen. Auch negative Gedanken und Gefühle sind Teil dieser körperlichen Organisation, welche dem Gehirn ein bestimmtes Selbstbild zurückspiegelt.
Durch Aufgreifen und Ausdifferenzieren (schrittweise Auf – und Abbauen) dieser körperlichen Muster werden neue Aktionsmuster kreiert, die eine nun selbst bestimmte, differenzierte und vor allem persönliche Form auf der Bühne ermöglichen.
In diesem Sinne ist Bühnendisposition Ausdruck eines umfassenden Selbstbewusstseins und das Ergebnis eines kompetenten Selbstmanagements.
Der "formative" Ansatz (Stanley Keleman) betrachtet ein Stereotyp als eine somatische Organisation, deren Struktur aufgelöst und neu organisiert werden muss. Der erste Schritt auf diesem Wege ist die Erfahrung "wie" ich etwas tue. Das willkürliche Verstärken dieser Organisation in all ihren Bestandteilen hilft, das Muster zu identifizieren und mich selbst als denjenigen zu erfahren, der es tut. Im schrittweise Auf- und Abbauen beginnt der Übende, das bestehende Muster aus zu differenzieren und aufs Neue Flexibilität zu ermöglichen.
So wird der unwillkürliche Reflex, auf den der Betreffende keinen Einfluss hat, nach und nach ersetzt durch eine willkürliche Organisation.
In der Arbeit mit der Symptomatik von fokalen Dystonien eröffnet der methodische Ansatz der „WIE-Übung“ Möglichkeiten, unwillkürlich ablaufende Bewegungsmuster wieder verfügbar zu machen.
Der Übende lernt, bestimmte unwillkürliche Muskelreaktion (Schritt 1) willkürlich „nachzuahmen“ (Schritt 2), um sie dann durch schrittweises Intensivieren und Desorganisieren (Schritt 3) zu beeinflussen. Wahlmöglichkeit entsteht.
An diesem Punkt eröffnet sich von Neuem die Möglichkeit, andere Vorstellungen wirksam werden zu lassen (Schritt 4), um das Stereotyp nach und nach durch ein neues Muster zu ersetzen (Schritt 5).
Literatur
Forme Dein Selbst, Ein Übungsbuch Stanley Keleman 1994 Kösel-Verlag
Verkörperte Gefühle, Der anatomische Ursprung unserer Erfahrungen und Einstellungen, Stanley Keleman 1999 Kösel-Verlag