Die Dispokinesis

präventive Gesundheitsförderung von Musikern für Musiker

Präventive Gesundheitsförderung für Musiker im Sinne der Dispokinesis bedeutet die Entwicklung und Erhaltung der uneingeschränkten Ausdrucksfähigkeit des Musikers. Die Symptomatik von Musikerleiden, (schmerzhafte)Verspannungen, Bühnenängste, überbelastungssyndrome bis hin zur Berufsunfähigkeit (Stichwort: fokale Dystonie) verweist oft auf künstliche Haltungs-, Spielbewegungs-, Atmungs- und Ansatzmuster, die nicht bewusst sind, sich auf Dauer aber zerstörerisch auswirken können.

Der dispokinetische Ansatz umfasst

  1. die Bewusstwerdung und Reorganisation solcher stereotyper Muster mittels der sog. "Urgestalten" von Haltung und Bewegung. Es sind übungen, „Gestalten“ in denen eine natürliche körperliche Aufrichtung erfahrbar wird als Basis für die Haltung mit und zum Instrument. Darüber hinaus zeichnen sie in ihrem Verlauf die motorische Entwicklung des Menschen bis zum Stehen nach und ermöglichen so die (Nach-) Reifung der Senso- bzw. Psychomotorik.
  2. Dies ist die Voraussetzung für ökonomische und leichte Spielbewegungen, einen frei fließenden Atem und mühelosen Ansatz. Hierzu gibt es spezielle übungen zu Spieltechnik, Atmung und Ansatz aller verschiedenen Instrumente inkl. Gesang und Dirigieren. Das Ziel ist ökonomie und die Fähigkeit, musikalische Vorstellungen direkt in angemessene (Spiel-) Bewegungen umsetzen zu können. So entstehen Kompetenz und echte Professionalität, die eine unabhängige musikalische Persönlichkeit und befriedigende Bühnenerfahrungen ermöglichen.
  3. Im Bereich Funktionalität arbeitet die Dispokinesis gegebenenfalls auch mit speziellen ergonomischen Hilfsmitteln, wenn es darum geht, die Spielfähigkeit zu erweitern.

Die Dispokinesis ist eine Arbeit von Musikern für Musiker. Examinierte Dispokineter sind immer auch Berufsmusiker. Die Dispokinesis ist aufgrund ihres in erster Linie pädagogischen Ansatzes besonders geeignet für die präventive Gesundheitsförderung von Musikern. Ihr Ziel ist die Entwicklung einer eigenständigen, kompetenten Musikerpersönlichkeit. Sie ist "Hilfe zur Selbsthilfe".

"Posture and Gesture" - diese beiden Begriffe bildeten den Ausgangspunkt eines Vortrags zum Thema "Focale Dystonie" von einem der erfahrensten Experten auf diesem Gebiet: Prof. Dr. Raoul Tubiana (Paris) auf dem Musikermedizinkongress in Mainz. Hier wurde einmal mehr deutlich, daß das (Beschwerde) - freie Spiel von Musikern abhängt von der Erfüllung sehr elementarer Parameter der menschlichen Sensomotorik - und daß es sich dabei immer um ein Ausdrucksverhalten handelt. übertragen auf die Vielzahl an Problemen und Erfordernissen von Musikern bedeutet dies - und meine Erfahrung in der Dispokinesepraxis bestätigt das - daß es oft um die Entwicklung bzw. Veränderung ganz elementarer Aspekte der Motorik geht.

Ich möchte dies kurz an einem Beispiel aus der Feinmotorik erläutern: Viele feinmotorische Störungen von Streichern und Bläsern entpuppen sich bei näherem Hinsehen als Daumenprobleme. Genauer gesagt erweist sich die feinmotorische Entwicklung des Daumens als unzureichend für die enorm hohen Anforderungen an die Geläufigkeit der jeweiligen Hand. Um den Daumen über das normale "Opponieren" hinaus zum selbständigen Spielfinger zu entwickeln, bedarf es spezieller übungen, die stets gebunden sind an ein leichtes, offenes "Ausgangsgefühl" in der Hand. Oft ist es nötig, zusätzlich die Abduktion bzw. Extension des Daumens zu trainieren, um die Dominanz der entgegenwirkenden Muskeln aufzuheben. So werden neue Bewegungsvorstellungen ermöglicht.

Weil am Klavier die Hände wie ein "offenes Buch" vor uns liegen und überdies gar nicht mit "Halteaufgaben" beschäftigt sind, eignen sich die Klavierübungen aus der Dispokinesis hervorragend, um diese Entwicklung in Gang zu bringen. Das Anfassen des Streicherbogens oder einer Blockflöte und der Untersatz des Daumens am Klavier werden sensomotorisch aus den gleichen Quellen gespeist.