Typische Probleme und ihre Behandlung
Von Angelika Stockmann
"Schön und schnell" soll es sein, das Spiel des Instrumentalisten, wie wir es uns wünschen. Auf diese beiden Punkte jedenfalls brachte ein renommierter Cellopädagoge die Ziele einer erfolgreichen Instrumentalpädagogik.
Und er hat Recht: das erste Kriterium eines musikalischen Vortrags ist der Ausdruck. Hat uns die Musik berührt, sind wir bewegt worden? Darin eingeschlossen sind auch die Bemühungen um einen "schönen Ton". Wie kann ich ihn dem Instrument entlocken, ohne ihn zu er-drücken?
Allzu oft nimmt das zweite Kriterium des o.g. Ausspruchs aber die erste Stelle unserer Bemühungen ein: Die Virtuosität, technische Perfektion eines Vortrags. So berechtigt und wichtig dieser Aspekt ist, gehen wir doch unbefriedigt nach Hause, wenn wir in einem Konzert nicht auch berührt worden sind (wenn es nicht auch "schön" gewesen ist). Und kaum ein Musiker würde wohl das Leben eines "performing artist" (G.O. van de Klashorst) auf sich nehmen – allen Mühen zum Trotz –, wenn es nicht sein Ausdrucksbedürfnis gäbe, das ihn immer wieder dazu treibt.
Um so bedauerlicher ist es, wenn die Musik unter unseren Händen nicht so hervortritt, wie es unserer Vorstellung entspricht, weil wir nicht frei über die instrumentaltechnischen Mittel verfügen.
Das Deutsche Zentrum für Dispokinesis (DZfD) trägt den Untertitel "Institut zur Behandlung von Tonkünstlern mit Ausdruckshemmungen". Tonkünstler aber sind Bewegungskünstler. Unser Körper ist das einzige uns zur Verfügung stehende Medium, Gefühle zu haben und sie auszudrücken.
Die körperliche Gestalt eines Menschen sagt viel über seine Hoffnungen, Ängste, Wünsche und Ziele. So werden auch all unsere Bewegungen durch eine innere Vorstellung gesteuert, ob uns dies nun bewußt ist oder nicht. Bewegen ist Bewegt-werden und entspringt einem gefühlsmäßigen Impuls. Die Dispokinesis bedient sich des Wissens um die Funktionalität unseres Körpers in anatomischer, physiologischer und neurologischer Hinsicht. Wir Musiker, gerade auch als Pädagogen, tun gut daran, von diesem Wissen Gebrauch zu machen, um mit unserem Körper und nicht gegen ihn zu arbeiten.
Es geht eigentlich gar nicht darum, ein Leben lang reibungslos zu funktionieren. Musizieren bedeutet kreativen Ausdruck, Selbstausdruck. Dieser kann immer nur in dem Maße harmonisch gelingen, wie auch das Instrument, nämlich wir selbst in unserem Körper, in Harmonie ist.
Die Analyse einer Bewegung ist sinnvoll, aber hilft uns nur da, wo wir sie im Erleben dieser Bewegung, d.h. gefühlsmäßig, wiedererkennen können. Ein Gefühl aber ist immer "ganz" und liegt dem Bewegungsimpuls als Ausdrucksladung zugrunde.
Hier liegt der Schlüssel zum Verständnis von Fehlhaltungen und -bewegungen, sowie zur Veränderung ungünstiger Haltungs- und Bewegungsmuster, die die Ausdrucks- und Spielfähigkeit behindern.
Im Unterricht geht es darum, Bewegungsgefühle zu entlocken, die der Schüler akzeptieren und in sein eigenes Bewegungsrepertoire integrieren kann. Mit einer klaren Vorstellung findet der Körper gewissermaßen selbst die natürliche Lösung ohne die Gefahr von Künstlichkeit. Der ursprünglichen Bewegungsbegabung eines Menschen Raum zu geben, heißt, physiologische Fehler zu vermeiden, die so leicht in einer "erdachten" oder oberflächlich nachgeahmten Instrumentaltechnik entstehen.
Musiker wissen, wie sehr eine Veränderung der "voreingenommenen" Haltung ihr Spielgefühl verändern, hemmen oder befreien kann. Dabei scheint es bisweilen, als läge dies lediglich an der Haltung des Instruments. Beispielsweise wird von vielen Cellisten die Stachellänge vor allem in Hinblick auf den gewünschten Kontaktwinkel des Bogens zur Saite gewählt. (Oder sie ahmen einfach ihren Lehrer oder andere Vorbilder nach.) Ausschließlich klangliche Kriterien aber verlieren da ihren Sinn, wo ich mich bereits durch die bloße Spielhaltung in eine Lage bringe, die instabil und auf Dauer verspannend ist.
Um aber einen akzeptablen Kompromiß zwischen allen maßgeblichen Kriterien zu finden, muß ich mir bewußtmachen, wonach ich eigentlich suche. In einer Situation wie auf der Bühne, in der permanente Präsenz, Konzentration und Präzision gefordert sind, brauche ich Sicherheit – mechanisch gesprochen: Stabilität –, die mir gleichzeitig ein möglichst großes Maß an Flexibilität erlaubt.
G.O. van de Klashorst nennt das Sitzen ein "unterbrochenes Stehen". Stehen aber ist ein kreativer Akt des Menschen, der Schwerkraft zu widerstehen, um sich aufzurichten. Aufgerichtetsein gibt ein Gefühl von Raum, in dem ich meine Hände frei gebrauchen kann zum "Handeln". Freiheit und Stabilität im Sitzen finde ich da, wo ich ein in dieser Hinsicht dem Stehen vergleichbares Gefühl habe. Dazu brauche ich zunächst einmal einen guten Kontakt mit dem Boden. Das Gefühl, "über den Füßen" zu sein, läßt mich weiter nach vorne kommen. Manche Musiker empfinden deshalb den Gebrauch eines Keilkissens als hilfreich. Es hat einen Neigungswinkel von sechs Grad und bringt das Becken dadurch in eine dem Stehen vergleichbare Position. In diesem Fall benötigt der Oberkörper nur ein Mindestmaß an Aufrichtungsspannung.
Eine gute Aufrichtung vermittelt uns selbst und den anderen das Gefühl von Zielgerichtetheit, Klarheit, Aktivität und Präsenz. Physiologisch gesprochen befreit sie die oberen Extremitäten von unnötigen Haltespannungen. Aus diesem Grund geht auch bei der Arbeit mit hohen Streichern dem Finden einer angemessenen Lösung des Stützproblems in der Regel die Verbesserung der allgemeinen "Disposition" voraus.
Ergonomische Hilfsmittel können nur da effektiv eingesetzt werden, wo die Spielhaltung an sich in Ordnung ist. Ansonsten werden sie zu unzulänglichen Kompensationen, die auf Dauer unbefriedigt lassen und oft sogar Ursache für Verspannungen im Bereich der Feinmotorik sind.
Legt der Geiger oder Bratscher sein Instrument auf die Schulter, hebt er dazu den linken Arm, beugt und supiniert ihn im Unterarm. Genau diese drei Funktionen erfüllt der berüchtigte m. biceps, der als starker Beuger im Ellenbogengelenk zu hohem Kraftaufwand neigt. Er ist ein Haltemuskel, gehört in den Bereich der Grobmotorik und ist eine der Gefahrenzonen für Überspannung bei hohen Streichern.
Instrumentalspiel sollte immer durch die Feinmotorik, d.h. unsere Bewegungsmuskulatur gesteuert werden. Deshalb ist es für Geiger und Bratscher von großem Nutzen, sich die Gründe für Störungen in diesem Bereich bewußt zu machen und durch eine die physiologischen Gesetzmäßigkeiten ihres Bewegungsapparats beachtende Technik zu vermeiden.
1. Ist bei der Geige oder Bratsche das Stützproblem unzureichend gelöst, wird auch der Bizeps durch das aktive Einklemmen des Instruments zwischen Schulter und Kinn mehr als nötig beansprucht. (Von der Verspannung anderer Muskeln wie m. deltroideus, m. sternocleidomastoideus etc. soll hier nicht die Rede sein.)
Es ist eine Eigenschaft unseres Nervensystems, daß, ist die Grobmotorik einmal aktiviert wie im Fall des m. biceps, diese immer über die Feinmotorik dominiert. Es wird viel mehr Kraft gebraucht als nötig. Probleme mit der Intonation, schwergängige, unsichere Lagenwechsel – vor allem abwärts – und ein unflexibles Vibrato sind die Folgen.
2. Möglicherweise liegt aber auch eine Vorstellung z.B. vom Ablauf eines Lagenwechsels der Bewegung zugrunde, die eine solche Hemmung durch den Bizeps begünstigt. Wenn ich beim Lagenwechsel – um nur ein Beispiel zu nennen – mehr an den sich verändernden Abstand des Unterarms zum Oberarm als an meine Finger denke, kann auch das die Ursache für eine Bizepsverspannung sein. Ähnliche Vorstellungen bzgl. des sogenannten Arm-Vibratos treten ebenfalls oft in diesem Zusammenhang zutage.
Die Qualität einer Bewegung wird geprägt durch ihre Initiierung. Entscheidend ist, von wo aus sie beginnt. Man spricht von einer "kinetischen Kette", die an einem Punkt in Gang gesetzt wird und dem alle anderen an der Bewegung mitbeteiligten Glieder folgen (was nicht im Sinne einer zeitlichen Abfolge zu verstehen ist).
Ändere ich die Vorstellung, ändere ich damit auch den Verlauf der tatsächlichen Bewegung. Bewußtwerdung spielt demnach also eine zentrale Rolle im Lernprozeß.
3. Eine weitere, oft verborgene Ursache für einen Hypertonus (Überspannung) des m. biceps ist eine mangelnde Supinationsfähigkeit des Unterarms (Auswärtsdrehung). Diese angeborene Beschränkung wirkt sich vor allem bei Bratschern ungünstig aus, weil mit fortschreitender Streckung im Ellenbogengelenk die Supinationsfähigkeit ohnehin abnimmt. Auf dieses Problem hat Prof. Ch. Wagner, ehemaliger Leiter des Instituts für Musikphysiologie in Hannover, schon vor mehreren Jahren in einer bislang viel zu wenig beachteten Studie hingewiesen. Ist die Supination eingeschränkt, muß der Arm stärker gebeugt und der Ellenbogen nach innen gedreht werden, was eine übermäßig erhöhte Bizepsaktivität zur Folge hat. Neben den schon erwähnten Störungen entsteht meistens auf Dauer eine heftige Symptomatik auch im Bereich der Schulter und des Handgelenks. Wird in einem solchen Fall die Supinationsbeschränkung nicht als Ursache der Störungen erkannt, kann den Beschwerden nicht wirksam abgeholfen werden.
Es gibt Geigenlehrer, die prinzipiell für eine Parallelstellung der Hand am Griffbrett plädieren. Dies z.B. ist bei eingeschränkter Supination unmöglich und sollte auf keinen Fall erzwungen werden.
Der rechte Daumen – oder: Worüber man besser nicht spricht …
In der Dispokinesis sprechen wir niemals vom "Bogengriff", sondern benutzen einen in seinem Bedeutungsgehalt offeneren Begriff, nämlich "Anfassung" des Bogens. Pablo Casals hat immer gesagt: "Der Bogen ist das Cello." Das heißt auch, hier ist der Ort der größten Aufmerksamkeit, die Kontaktstelle, der entscheidende Punkt für die Erzeugung des Klangs. Aufmerksamkeit hat etwas mit Bereitschaft und Offenheit zu tun, ist ein "leises" Gefühl. Wenn ich mit dieser "Ausgangshaltung" eine Saite streiche, kann meine Hand der Linie des Bogens folgen. Sie ist flexibel, jeden Moment zu reagieren. Die Dynamik sollte dabei niemals die Qualität der Bewegung an sich verändern. Lautstärke ist eine veränderte Emotion, keine andere Technik.
Im Anfangsunterricht werden diese beiden Aspekte oft zu früh vermischt, so daß der Schüler in seiner ganz natürlichen Unbeholfenheit anfängt zu drücken, besonders in der oberen Hälfte des Bogens. Beim Drücken wird aus der "Anfassung" ein "Griff", und der Daumen gerät in eine aktive Opposition zu den übrigen Fingern der Bogenhand. So entsteht eine grobmotorische Funktion des Daumens, die in der Instrumentaltechnik unerwünscht ist. Oft setzt sich die Überspannung des Daumens bis in den Oberarm und die Schulter fort. Der Auftrag z.B., der Daumen solle stets "rund" sein, zwingt den Spieler – wenn er nicht sehr lange Arme hat –, in der oberen Hälfte des Bogens die Schulter nach vorne zu bringen. Der Aufstrich bekommt dadurch einen grobmotorischen Impuls, was in schweren Fällen zu einem sogenannten pectoralis minor-Syndrom führen kann. Stereotypes Bogenzittern in der oberen Hälfte ist dafür häufig ein Symptom.
Dieser Auftrag, den Daumen stets "rund" zu lassen, ist gut gemeint und soll natürlich einen anderen weitverbreiteten "Fehler" verhindern: den "durchgedrückten" Daumen.
Das Durchdrücken bringt den Daumen in eine sogenannte Adduktionsstellung: der Handinnenraum wird eng, die Finger verspannen. Besonders betroffen sind der Daumenballen und der kleine Finger. Die Ursache dafür liegt in der neurologischen Versorgung der diese Bewegung steuernden Muskeln (m. adductor pollicis, m. opponens pollicis). Die sie versorgenden Nerven (n. medianus, n. ulnaris) erregen auch Muskeln der übrigen Finger.
Der so entstehende Griff ist sehr stabil, aber unflexibel und unter instrumentaltechnischen Aspekten unbrauchbar.
Der Daumen kann – mit einer anderen Vorstellung – auf eine offenere Weise den anderen Fingern gegenüberstehen: wenn er mit seiner Kuppe den Bogen sanft berührt und nur als passive Unterstützung empfunden wird, behält die Hand Raum und bleibt flexibel. Dies zu finden, ist ein Gefühl, welches durch analytisch bestimmte Positionsanweisungen einzelner Finger leicht verdorben werden kann. Der Daumen soll den Fingern passiv gegenüberstehen und möglichst nur integriert in das Gesamtgefühl der Anfassung des Bogens wahrgenommen werden. Es ist eine altbekannte Erfahrung, daß übermäßige Aufmerksamkeit leicht Spannung erzeugt.
Es gibt Fälle, in denen der Daumen, sobald er aktiv gebraucht wird, im Grundgelenk kollabiert. Die Ursache dafür kann neben einer allgemeinen Hypermobilität in der zu schwachen Ausprägung der Agonisten (m. extensor pollicis longus, m. extensor pollicis brevis) liegen, die den Daumen nach außen bringen. Auch in diesem Falle sind die gegenüberliegenden Antagonisten auf der Innenseite der Hand zu stark gespannt. Man kann durch gezielte Übungen die Agonisten stärken und erreicht somit eine Öffnung der Hand.
Warum ist der Daumen so anfällig für Störungen?
Evolutionsgeschichtlich betrachtet, ist der Gebrauch des Daumens als selbständiger Finger, wie wir ihn beispielsweise in der Instrumentaltechnik einsetzen, relativ neu. Er beansprucht noch heute eine relativ große Zahl an Nervenzellen auf der Hirnrinde, um seine komplizierten Funktionen zu steuern.
In der feinmotorischen Entwicklung des Kindes und Jugendlichen ist er der letzte Finger, der seine volle Funktion erreicht. Das bedeutet, daß er in der Instrumentalausbildung sehr behutsam eingeführt werden sollte.
Bogen-Kontakt und Boden-Kontakt
Aktiven Kontakt mit dem Boden zu haben, bedeutet, der Schwerkraft zu widerstehen. Widerstand erzeugt Spannkraft, als Antwort auf einen Reiz. Auch die gespannte Saite bietet dem Bogen einen Widerstand, an dem er sich sozusagen reiben kann. Bei der Tongebung hilft die Vorstellung, das Gewicht des Bogens in die Saite zu geben und zu spüren, wie er seinerseits mit Spannung reagiert. Um das Drücken in die Saite zu vermeiden, ist es hilfreich, die Aufmerksamkeit so weit wie möglich nach außen zu bringen. "Der Bogen gehört zur Saite" – nichts anderes meint eigentlich der Begriff der "Kontaktstelle".
"Gewichtgeben" bedeutet Lassen, Loslassen. Demgegenüber kommt es (besonders bei Cellisten) zu hohen Spannungen in Oberarm und Schulter, wenn sie zu sehr an ihren Arm denken und so – ohne sich dessen bewußt zu sein – aktiv Druck erzeugen. So kann das Instrument nicht frei schwingen.
In diesem Sinne "Gewichtgeben" zu können, ist gar nicht so einfach und bedarf einer entwickelten Sensomotorik. Dies sollte im Unterricht in Hinblick auf den Zeitpunkt des Laut-spielen-könnens berücksichtigt werden. Einen "großen Ton" kann man nicht erzwingen.
Ich habe an wenigen Beispielen aus der Streicherpraxis versucht, einige Aspekte der dispokinetischen Arbeit und ihre Bedeutung für die Instrumentaldidaktik deutlich zu machen.
Bei vielen Instrumentalisten mit Spielbeschwerden stellt sich heraus, daß sie nicht wissen, was sie eigentlich bewegungstechnisch tun. Sich bewußt zu werden, ist übrigens auch die Aufgabe, der sich die meisten sogenannten "Naturtalente" irgendwann im Laufe ihres Reifungsprozesses stellen müssen. Für manche eine langandauernde, schwierige Aufgabe, aber unerläßlich, wenn sie den Zugang zu ihrer natürlichen ursprünglichen Begabung im Laufe ihres Lebens und unter dem Druck zur permanenten Perfekt behalten wollen. Aber auch für einen Lehrer ist die Bewußtwerdung m. E.unabdingbar, um die wirklichen Probleme seiner Schüler erkennen zu können. Dann geht es darum, die richtige Sprache zu finden, die im Unterricht Klarheit und Raum gibt.